An Silent Hill 2 hängen viele Erinnerungen. Es ist ein Spiel, dessen starke Emotionen und das beklemmende Gefühl innerer Zerrissenheit eine ganze Generation junger Spieler*innen ansprachen. Im Bereich der Mainstream-Horrorspiele nahm das Original von Silent Hill 2 eine Pionierrolle ein. Mit seinem Fokus auf psychologischen Horror behandelte es schwierige Themen wie Suizid, häusliche Gewalt, sexuelle Übergriffe und Depressionen – und das mit einem Feingefühl, das man von Videospielen damals nicht erwartete. Grundlage der Geschichte ist der Archeplot der Reise in den verwunschenen Wald, wo der Held mit seiner Vergangenheit konfrontiert wird. Ein zeitloses Konzept, das Silent Hill 2 trotz seiner kryptischen Symbolik für viele Menschen zugänglich machte.
Wie entwickelt man mit diesem schweren Erbe im Rücken ein Remake? Die Erwartungen sind schließlich immens. Dem war sich Bloober Team mehr als bewusst. Mit ihrem vorherigen Projekt The Medium waren sie stark in die Kritik geraten, da sie gegen Ende des Spiels sehr ungeschickt mit schwierigen Themen umgingen. Eine Kritik, die ich teile. Umso überraschter bin ich: Ihre Neuauflage von Silent Hill 2 übertrifft trotz aller Skepsis fast alle Erwartungen und ist ein gelungener Survival-Horror geworden. Das Remake respektiert das Original und erweitert es nur dann sinnvoll, wenn es bereits vorhandene Aspekte verstärken kann – und doch wird es einige langjährige Fans enttäuschen.
Ein Brief aus dem Jenseits
An den Grundpfeilern hat sich nichts geändert: Wir schlüpfen in die Rolle von James Sunderland, einem Mann mittleren Alters, der einen Brief seiner verstorbenen Frau Mary erhält. Darin erinnert sie ihn an ihre gemeinsame Zeit in Silent Hill, einer Kleinstadt irgendwo in Amerika. Der Haken an der Sache: Mary ist bereits vor drei Jahren gestorben. Tote schreiben keine Briefe. Trotzdem reist James, gebeutelt von anhaltender Trauer, in die Stadt, die sich seit seinem letzten Besuch stark verändert hat. Ein ungewöhnlich dichter, gespenstischer Nebel hüllt den Ort ein. Die Einwohner sind verschwunden und haben sonderbare Nachrichten hinterlassen, in denen sie von unheimlichen Erscheinungen berichten.
Auf seinem Streifzug durch Silent Hill begegnet James anderen Menschen, die ebenfalls aus persönlichen Gründen in die Stadt gekommen sind. Sie alle haben das Gefühl, von ihr gerufen worden zu sein. Doch etwas stimmt ganz und gar nicht: James begegnet zahlreichen grotesken Kreaturen, die ihm nach dem Leben trachten. Die Hoffnung, Mary trotz allem wiederzusehen, treibt ihn immer tiefer in die dunkelsten Winkel von Silent Hill. Zunehmend wird deutlich: Dies ist eine Reise in den Limbus, in dem Menschen mit ihren Taten aus der Vergangenheit konfrontiert werden. Die Hintergrundgeschichten der Charaktere aufzudecken und dabei die Symbolik zu interpretieren, macht einen großen Reiz der Handlung aus.
Zwischen Arthouse und Zugänglichkeit
Eine große Besonderheit von Silent Hill 2 ist die persönliche Geschichte voller Melancholie, die sich mit der intensiven Alptraum-Aura verbindet, die sich im Laufe des Spiels zuspitzt. So wechseln sich ruhige Szenen mit einigen der furchteinflößendsten Sequenzen ab, die das Horrorgenre zu bieten hat. Zwar verfolgen auch andere Teile der Serie einen ähnlichen Ansatz, doch in keinem ist die Balance zwischen diesen Elementen so gut gelungen wie in Silent Hill 2. Bloober Team ändert nichts an diesem Konzept, sondern vertieft und erweitert diese Elemente auf Basis der Urversion. Das spiegelt sich in einer deutlich erhöhten Spielzeit und einem größeren Umfang wider. Je nach Spielweise kann man nun über 20 Stunden in Silent Hill verbringen – und hat danach erst eines von insgesamt acht Enden gesehen. Ein New-Game-Plus-Modus, höhere Schwierigkeitsgrade und einige Bonusgegenstände bieten Anreize für weitere Spieldurchläufe.
Wie sehen diese Erweiterungen konkret aus? Zum einen gibt es neue Zwischensequenzen, die mehr über die Charaktere verraten. Die Gefahr bestand darin, dass die Ambiguität des Originals verloren geht, doch Bloober Team hat hier bei der Inszenierung eine gute Lösung gefunden. Die Figuren sprechen zwar nun weniger in Rätseln und drücken sich deutlicher aus, verlieren sich aber mit zunehmender Spielzeit immer stärker in ihrer Gedankenwelt. Sie verlieren zunehmend den Bezug zur Realität. Dadurch stellt sich schleichend die traumhafte, sonderbare Stimmung ein, die man aus den Filmen von David Lynch kennt – einer direkten Inspirationsquelle des Originalteams. Die (englischen oder japanischen) Sprecher*innen finde ich allesamt ausgezeichnet. Ich bin beeindruckt davon, wie viele neue Nuancen man den Gesprächen entnehmen kann. Ich war sogar überrascht, wie sehr mich einige Szenen emotional berührt haben, obwohl ich die Geschichte des Originals in- und auswendig kenne. Auf Personen, die hier ihren Erstkontakt mit dem Material haben, dürfte der Effekt noch intensiver wirken.
Viele der Ergänzungen sind optional. Zum Beispiel finden sich überall in der Welt seltsame Polaroid-Fotos, die die ursprüngliche Handlung um eine mysteriöse Note erweitern. Man findet auch mehr Informationen zur Lore des Silent Hill-Universums, die aber nie zu sehr von der Hauptgeschichte um James ablenken. Die Spielwelt wirkt nun größer und zusammenhängender, da es keine sichtbaren Ladezeiten mehr gibt. Jeder Bereich ist deutlich umfangreicher, wobei ich das im letzten Drittel des Spiels nicht unbedingt als Vorteil empfunden habe. Ohne zu viel zu verraten: In der Levelarchitektur dieses Abschnitts kommt es zu stärkeren Wiederholungen. Diese machen zwar dramaturgisch Sinn, aber da man sich hier aufgrund der erhöhten Anzahl an Aufgaben länger in diesen Bereichen aufhält, hätte ich mir einige Kürzungen gewünscht. Das letzte Areal in den finalen Stunden ist dafür wieder so gut gelungen, dass es mich versöhnt hat.
Spielkomfort und Immersion
Das Remake hat in seinem Design erhebliche Anpassungen erfahren, um den Erwartungen des heutigen Publikums gerecht zu werden. Ich persönlich liebe die festen Kameraperspektiven und ihre manchmal bewusst desorientierende Inszenierung von damals. Die enge Schulterperspektive des Remakes ist aber sicherlich zugänglicher für die meisten, zumal sie durch Spiele wie Resident Evil 4 geprägt wurde. Den Klassiker aus dieser Perspektive zu erleben, verändert das Spielerlebnis jedoch erheblich. Allein deshalb können Original und Remake gut nebeneinander als eigenständige Werke existieren. Aus heutiger Sicht wirkt das Original avantgardistischer, experimenteller, vielleicht sogar wie ein Arthouse-Film, der wenig Rücksicht auf die Gewohnheiten der Spieler*innen nimmt.
Das Remake hingegen ist sehr auf Zugänglichkeit bedacht. Man verbringt nun deutlich weniger Zeit in Menüs und hat direkten Zugriff auf Waffen und Heilgegenstände. Über das Steuerkreuz lassen sich diese direkt auswählen und anwenden. Auch die Karte ist nun diegetisch, also direkt in die Spielwelt eingebunden, und zeigt mit zusätzlichen Notizen deutlicher, wo Rätsel zu lösen sind. Auf einen Kompass verzichtet das Spiel aber glücklicherweise, sodass die eigenständige Orientierung und Erkundung weiterhin ein Kernaspekt bleibt. Die rot glühenden Speicherpunkte gibt es immer noch, doch zusätzlich speichert das Spiel automatisch in Schlüsselszenen. Im Falle eines Todes kann man zwar etwas Fortschritt verlieren, aber es handelt sich nur um wenige Minuten. Es besteht also ein Risiko, ohne frustrierend zu sein.
Besonders hervorzuheben sind die vielen Optionen zur Anpassung des Spielerlebnisses: Man kann festlegen, wie viele Anzeigen das HUD haben soll. Mich hat zum Beispiel der rote Rahmen am Bildschirm gestört, der bei niedriger Gesundheit auftaucht. Den Zustand von James kann man aber auch an seiner Animation, seiner Atmung und den Blutflecken auf seiner Jacke ablesen. Für eine stärkere Immersion habe ich fast alle HUD-Elemente ausgeschaltet, aber die Hilfen sind da, wenn man sie braucht. Es gibt auch weitere Einstellungen, etwa zur Empfindlichkeit der Steuerung. PC-Spieler*innen werden zusätzlich mit einer ganzen Reihe von Grafikoptionen empfangen. Sogar an einen Hochkontrast-Modus für Menschen mit Sehbehinderung wurde gedacht.
Die Rätsel in den Rätseln
Wie im Original könnt ihr den Schwierigkeitsgrad für Kämpfe und Rätsel getrennt einstellen. Auf den höheren Stufen halten die Gegner mehr aus und greifen häufiger an, während die Knobelaufgaben komplexer werden und aus mehreren Schritten bestehen. Um beispielsweise eine verschlossene Truhe zu öffnen, müsst ihr zunächst den passenden Schlüsselgegenstand finden. Dieser ist oft an einem Ort versteckt, an dem viele Feinde lauern, und manchmal wird der Weg dorthin durch ein weiteres Rätsel versperrt. In manchen Situationen reicht es, den Gegenstand einfach einzusetzen. In anderen muss er erst arrangiert oder vorbereitet werden, um nutzbar zu sein.
Ein frühes Beispiel im Spiel ist eine Jukebox. Um sie zu benutzen, benötigt ihr zunächst eine zerbrochene Schallplatte, deren Hälften an unterschiedlichen Orten zu finden sind. Auch der Kleber muss erst gefunden werden. Die Fundorte sind plausibel und erhalten durch Notizen zusätzlichen Kontext, der mehr über die Spielwelt erzählt. Ist die Schallplatte wieder vollständig (und ein Knopf gefunden), müsst ihr sie in die Jukebox einlegen. Dazu müsst ihr den Mechanismus verstehen und die richtigen Teile der Maschine bewegen. Während diese Aufgaben noch relativ realistisch wirken, werden sie zunehmend unheimlicher und verworrener. Später gibt es sogar Hinweise auf Alchemie, was mit der Entstehungsgeschichte der Stadt zusammenhängt.
Zwischen behäbig und dynamisch
Die Kämpfe gegen die Kreaturen von Silent Hill waren schon immer ein großer Streitpunkt unter Horrorfans. Durch die feste Kamera war damals ein Lock-On nötig, und die Aktionsmöglichkeiten waren sehr beschränkt. Man schoss, schlug, lud nach … und das war es. Die Verwaltung der Ressourcen und die Positionierung im Raum waren wichtiger als actionreiche Kombinationen. Das wirkte zwar behäbig, trug aber entscheidend zur Atmosphäre und Spannung bei. James war den Gegnern stärker ausgeliefert, und man hatte eher das Gefühl, einen normalen Menschen zu spielen, statt einen ausgebildeten Soldaten.
Bloober Team hat diese Kernidee für das Remake übernommen, James aber dennoch beweglicher gemacht. Das liegt vor allem am Seitwärtsschritt, mit dem man Attacken ausweichen kann. Das ist auch nötig, denn James kann weder Geschosse noch Hiebe blocken. Dafür gibt es nun Monster, die Schläge abwehren können. Generell ist die Beweglichkeit der Kreaturen deutlich gestiegen, was die Dynamik der Kämpfe erhöht. Sie kriechen beispielsweise nicht mehr nur über den Boden, sondern können jetzt auch wie Spinnen an Wänden klettern. Erstaunlicherweise fühlen sich die Kämpfe aber immer noch genügend behäbig an, sodass James nicht zum Supersoldaten wird. Die Konfrontationen haben etwas Rohes und Brutales, pendeln zwischen Wutausbrüchen und Notwehr, was gut zur Geschichte passt. Gelungene Angriffe führten bei mir zu kleinen Dopamin-Schüben, die für ein gewisses Spielvergnügen sorgen. Trotzdem werden, vor allem auf höheren Schwierigkeitsgraden, Fehltritte und Ungeduld bestraft, sodass das Gefühl der Bedrohung nie verloren geht. Mit Munition und Heilgegenständen muss man nach wie vor haushalten, wobei die Ressourcen nur auf dem höchsten Schwierigkeitsgrad wirklich knapp werden.
Die Anzahl der Gegnertypen ist im Wesentlichen gleich geblieben, auch wenn es im Detail kleinere Unterschiede gibt. Die bekannten Bubble Head Nurses greifen beispielsweise entweder mit einer Brechstange oder mit einem Messer an. Die letztere Variante ist besonders flink und erfordert hohe Aufmerksamkeit. Schön ist auch, dass man nun Trefferzonen nutzen kann. Schießt man einem heran stürmenden Gegner zum Beispiel auf die Beine, gerät dieser ins Taumeln. Da man direkten Zugriff auf Hiebwaffen, wie zum Beispiel dem Stahlrohr hat, kann man fließend Schüsse und Hiebe kombinieren. Dennoch hätte ich mir für das Remake neue Monstertypen gewünscht. Im Original reichte es aus, einer Handvoll Gegnertypen zu begegnen, doch angesichts der mindestens verdoppelten Spielzeit wirken sie etwas repetitiv. Das liegt auch daran, dass es insgesamt mehr Kämpfe gibt als früher. Dazu kommen einige Bosskämpfe, die in Arealen mit viel Bewegungsfreiheit stattfinden. Spielerisch sind sie eingängiger als in der Urfassung, fühlen sich aber auch stärker nach einem klassischen Videospiel an. Da man aber dramaturgisch gut auf diese Szenen vorbereitet wird, fügten sie sich für mich dennoch gut in das Gesamtbild ein.
Wäre es vielleicht besser gewesen, die Feindbegegnungen zu reduzieren und die Gegner dafür stärker und gefährlicher zu machen? Die hohe Anzahl nimmt den Monstern etwas von ihrem Schrecken, und man bemerkt stärker kleine technische Ungereimtheiten, wie die manchmal etwas ungenaue Kollisionsabfrage. Fairerweise muss man aber auch sagen, dass Bloober Team sich Mühe gibt, interessante und abwechslungsreiche Situationen zu inszenieren. So wird man beispielsweise manchmal überraschend mit Gegnern in einen Raum eingesperrt. Oder die Monster verstecken sich geschickt. Die Mannequins, die aus zwei aufeinander gesteckten Beinpaaren bestehen, sind beispielsweise Meister der Tarnung. Bei Feindbewegungen rauscht James' Radio, um ihn vor Gefahren zu warnen. Es reagiert aber nur auf Bewegung. Verstecken sich die Mannequins, bewegen sie sich erst, wenn man sie mit der Taschenlampe anleuchtet. In diese Falle bin ich oft getappt!
Ressourcen findet man hauptsächlich in Schubladen, Schränken oder hinter Glasscheiben. Damit wird eine neue Spielmechanik eingeführt: James kann nun Scheiben einschlagen, um an die Gegenstände dahinter zu gelangen. Das gilt auch für Schaufenster und Scheiben von stillgelegten Fahrzeugen. Man kann aber durch das Glas sehen, ob sich dahinter etwas verbirgt, sodass man nicht wahllos alles zerstören muss. Das hätte der Atmosphäre sonst geschadet.
Rost, Blut und Dunkelheit
Auch wenn ich die Kämpfe nicht schlecht finde, stellen sie meinen größten Kritikpunkt an dem Spiel dar. Dass ich trotzdem wie gebannt bis zum Abspann vor dem Bildschirm saß, liegt an der für mich größten Errungenschaft des Remakes: Die Neuinterpretation der Spielwelt ist fantastisch! Mich hat es schon damals auf der Playstation 2 fasziniert, durch die Straßen zu streifen und anhand des Environmental Storytellings die Geschichte der Stadt zu entdecken. Durch den technischen Fortschritt und die detailreiche, sorgfältige Gestaltung ist dieser Aspekt im Remake noch viel beeindruckender. Man kann nun einige optionale neue Umgebungen besuchen, die sich organisch in das Gesamtbild einfügen. So kann man beispielsweise einige Geschäfte betreten und dort Hinweise auf das Schicksal der Bewohner finden. Toll ist, dass die Orte so gestaltet sind, dass man ihre Geschichte ablesen kann. In einer Wohnung voller alter Möbel findet man zum Beispiel einen Gehstock und einen Rollator – ein deutliches Indiz dafür, dass hier eine ältere Person mit gesundheitlichen Problemen gelebt haben muss. Überall, wo früher Menschen lebten, wirken die Orte gewohnt, benutzt und deshalb authentisch.
Silent Hill 2 gliedert sich in offene Bereiche in den Straßen und komplexe Innenbereiche, die im übertragenen Sinne an Dungeons erinnern. In letzteren kommt es zu den meisten Feindkonfrontationen, und das genretypische Konzept des Recursive Unlockings wird gekonnt umgesetzt. Stück für Stück erschließt man sich die Orte und lernt jeden Winkel kennen. Ich finde es sehr befriedigend, zuvor verschlossene Türen öffnen und Geheimnisse lüften zu können, die James auf der Karte zunächst mit einem Fragezeichen markiert hat. Die Innenbereiche sind nun umfangreicher gestaltet, und die Anzahl der Räume, die man nicht betreten kann, wurde reduziert. Die vielen verschlossenen Türen des Originals sind nicht umsonst zum Meme geworden, kommen im Remake aber viel seltener vor.
Hier macht man auch die ersten Erfahrungen mit der alternativen Welt, für die Silent Hill berühmt ist: Die Orte werden in ihrem Aufbau gespiegelt, die Architektur aber durch Metall, Rost und industrielle Konstrukte ersetzt. Es gibt bestimmte Punkte in der Handlung, an denen James diese Welt betritt. Die Gründe dafür möchte ich euch an dieser Stelle natürlich nicht verraten. Diese Alternativwelt war in der Serie schon immer audiovisuell beeindruckend, erreicht im Remake aber eine neue Stufe. Sie ist so detailliert mit schmutzigen, schleimigen, verstörenden Details dargestellt, dass ich fast das Gefühl hatte, die Umgebung riechen zu können. Ketten hängen von der Decke, Stacheldraht ziert die Wände. Überall finden sich vertrocknete Reste von Blut, Fleisch und Kleidung, während Staubpartikel die Luft verdicken. Dieser Alptraum spielt irgendwann unter freiem Himmel, in absoluter Dunkelheit. Als es dann anfing zu regnen, war ich erneut begeistert von dieser dichten Atmosphäre, die Silent Hill schon immer ausgezeichnet hat.
Von der Musik verzaubert
Ich muss auch sagen, dass mich der Soundtrack von Akira Yamaoka erneut verzaubert hat! Er hat einige seiner klassischen Stücke neu abgemischt, um auch musikalisch zu unterstreichen, dass das Remake eine Neuinterpretation ist. Seine Stücke klingen diesmal etwas verspielter und weniger rockig als damals, was ihnen einen eigenen Flair verleiht. Bei den Ambient-Stücken erhält Yamaoka Unterstützung von Bloobers Hauskomponisten Arkadiusz Reikowski, der insgesamt auf eine etwas sanftere Instrumentalisierung setzt. In den Alptraumszenen ist der Industrial-Terror von damals zwar noch immer zu hören, aber das emotionale Ambient-Gegengewicht ist diesmal präsenter. Woran ich mich gewöhnen musste, ist das weniger aggressive Sounddesign der Monster: In der Urversion haben sie fast gekreischt. Hier hingegen krächzen oder glucksen sie eher, während manchmal so etwas wie ein menschlicher Laut aus den Kehlen gepresst wird. Das ist zwar auch unangenehm, aber letztendlich nicht mehr so bizarr außerweltlich wie im Original.
Kein Zweifel besteht jedoch daran, dass das Sounddesign herausragend ist und perfekt mit dem großartigen Environmental Storytelling harmoniert. Unheimliche Geräusche aus dem Nebel, der Hall, der die Größe der Räume widergibt, mechanische Geräusche aus der Ferne – besonders über 3D-Kopfhörer ein wahrer Genuss! Die Sound Designer haben auch für ruhige Szenen mit viel Stille gesorgt - die nicht wirklich still ist, weil man dann erst recht den Wind und leisere Umgebungsgeräusche wahrnimmt. Sehr cool: Spielt man auf der Playstation 5, erklingt das Radio aus den Lautsprechern des Controllers. Das beißt sich zwar, wenn ihr 3D-Kopfhörer benutzt, aber falls ihr über Lautsprecher spielt, wirkt das Erlebnis dadurch räumlicher.
Für meinen ersten Spieldurchlauf habe ich mir ausgiebig Zeit genommen. In gut 26 Stunden habe ich jedes neue Detail aufgesogen und die Umgebungen genau erkundet. Dabei sind mir viele kleine Feinheiten aufgefallen. Zum Beispiel sind die Finger von James dreckig, wenn er in eine Flüssigkeit gegriffen hat. Oder er sieht im Laufe des Spiels zunehmend erschöpfter im Gesicht aus. Ich fand die Inszenierung der Spielwelt und der Geschichte insgesamt so packend, dass mich anfängliche Kritikpunkte mit der Zeit nicht mehr störten. Zu den bereits genannten kommt ein technischer Aspekt hinzu: Die Performance der Playstation 5-Version ist nicht optimal. Man kann zwischen einem 30fps-Modus mit mehr Details oder einem 60fps-Modus für flüssigere Spielbarkeit wählen. In beiden Fällen kommt es gelegentlich zu Bildfehlern, die besonders in den Außenarealen sichtbar sind. So flackern beispielsweise Reflektionen stark. Die PC-Version ist davon verschont, sofern man die höchsten Einstellungen verwendet. Auf beiden Plattformen kommt es hingegen zu kleinen Rucklern, wenn viele Daten geladen werden. Das fällt auf, wenn man die Kamera sehr schnell bewegt. Hoffentlich wird das per Patch behoben. Es bleibt abzuwarten, wie gut das Spiel auf der kommenden Playstation 5 Pro laufen wird.
Aus meiner Sicht ist das Remake von Silent Hill 2 ein gelungenes Spiel. Wer das Original von damals noch kennt, erlebt hier eine neue, spannende Interpretation. Und wer bisher noch keinen Kontakt mit der Serie hatte, findet hier ohne Vorwissen einen guten Einstieg in das grausig-schöne Silent Hill-Universum. Doch warum sage ich in der Einleitung, dass es einige Fans dennoch enttäuschen wird? Nun, über die Jahre ist Silent Hill 2 durch unendlich viele Essays auf einen unrealistischen Sockel gehoben worden. Es entstand ein durch Nostalgie entfachter Mandela-Effekt, der zu dem verzerrten Bild des unantastbaren Spiels geführt hat.Ich liebe das Original, aber ich freue mich auch über jeden neuen Silent Hill-Teil. Mein Vorschlag ist folgende Betrachtungsweise: Remakes von Spielen sind vergleichbar mit Neuverfilmungen oder neuen Aufführungen von älteren Werken. Es sind Neuinterpretationen, die nicht dazu da sind, das Original zu ersetzen, sondern neue Sichtweisen auf ein bekanntes Material eröffnen sollen. Schon die neue Kameraperspektive empfinde ich als Transformation, von den stark erweiterten Orten ganz zu schweigen. Hätte sich Bloober Team bei der Handlung noch stärker vom Original lösen können? Das wäre eine interessante Frage. Aber das, was sie geliefert haben, funktioniert in sich geschlossen als eigenständiges Werk.Allein die Tatsache, dass ich mit meinen Freunden, die ebenfalls Fans sind, wieder Theorien austauschen kann, ist ein wundervolles Geschenk. Das Remake liefert neue Anlässe zur Diskussion und viele interessante Aspekte, mit denen man sich auseinandersetzen kann. Damals wie heute lebt es vor allem durch die vielen liebevollen Details, auf die ich nicht ohne Spoiler in dieser Rezension eingehen kann. Dank dieses Remakes ist Silent Hill wieder im Gespräch. Und wir werden daran erinnert, was diese Serie in erster Linie so reizvoll gemacht hat.